Regensburger zieht Hut vor Jules Verne

Ein Zylinder brachte Manfred Pfeiffer auf die ziemlich abgefahrene Idee: Er erfand sich neu – als bayerischer Steampunk. 
Von Marion Lanzl, MZ

REGENSBURG.Dass Manfred Pfeiffer mal ein Erfinder wird, das konnte man schon in seiner Kindheit ahnen, denn er hat aus einfach allem was gebastelt. Zuletzt kreierte er zusammen mit seiner Frau Edith die Zombies vom Haidplatz. Derzeit erfindet er ganz andere kuriose Kostüme und sich selbst mal wieder neu. Zusammen mit seiner Frau hat er etwas faszinierend Neues in erstaunlichem Alten für sich entdeckt: Den Steampunk – eine gelebte Hommage an die Futuristen des 19. Jahrhunderts.

Als Bastler und Hobby-Kostümbildner stöbern die Pfeiffers gerne auf Flohmärkten. So fiel ihnen auch eine kleine Rarität aus einem Regensburger Traditionshandwerk in die Hände: ein Zylinder vom königlich bayerischen Hof-Hutmacher O. F. Günzrodt vom Kohlenmarkt/Domplatz in Regensburg. Samt Hutschachtel mit der prominenten Anschrift hat der Sammler das guterhaltene Stück erworben. „Damals waren wir erst ganz neu auf den Steampunk gekommen – der Zylinder passte dazu wunderbar.“

Nachbau beim Hutkönig

Bei der Adresse Domplatz fällt natürlich jedem Regensburger auf, dass hier, seit Generationen, nicht der königliche Hutmacher Günzrodt seine modistischen Meisterwerke in den Auslagen präsentiert, sondern Hutkönig Nuslan. „Unsere Hutmacherfamilie mütterlicherseits, Familie Lange, geht in Regensburg zurück bis 1875, nur damals nicht in diesem Haus“, erklärt Robert, einer der „amtierenden“ Hutkönige vom Domplatz. 1895 kam der Ritterschlag für den fleißigen Vorfahren mit einer Urkunde aus dem „Thurn und Taxisschem Hofmarschallamt“, ein Jahr später sogar die Ernennung zum „Königlich Bayerischen Hoflieferanten“. 1919, kurz nach dem Ende des Königreichs Bayern, gründete der Urgroßvater dann eine Hutfassonieran-stalt im Waaggässchen. Gleich um die Ecke, in der Neuen Waaggasse, war auch der Laden eben jener Hutmacherin Margarethe Günzrodt. Bis in die 1930er Jahre waren die Günzrodt dann auch tatsächlich am Kohlenmarkt vertreten.

Damals gab es sehr viele Hutmacher in Regensburg. „Ohne Hut konnte man früher nicht außer Haus gehen, das war auch noch bis in die 1950er Jahre so“, bestätigt Robert Nuslan. Der Königlich Bayerische Zylinder vom Flohmarkt blieb auch in Pfeiffers Kuriositätenkabinett nicht lange allein, fünf unterschiedliche Zylinder hat er mittlerweile. Alte Uhrwerke, Zahnräder, nostalgische Ferngläser und originelle Spazierstöcke stapeln sich in Pfeiffers Haus. Es wird geschweißt und geschraubt und genäht. Als gelernte Orthopädieschuhmacherin hat Edith das talentierte Händchen. Auch jede Menge Kostüme und Accessoires aus den Schatztruhen seiner Piratencrew und neuerdings die Kollektion der Regensburger Zombies füllen die Schränke. „Als Piraten sind wir deutschlandweit bekannt. Die Fangemeinde der Seeräuber und Halsabschneider zählt 1200 Seelen auf Facebook. Ebenso soll es mit unserem Steampunk-Projekt geschehen – Leute zusammenbringen, in Regensburg und darüber hinaus“, schwärmt Manfred.

Manfred plant ein ganzes „Haus des Grauens“. „Solche Häuser gibt es in Amerika schon einige. Mit leibhaftigen Zombie-Darstellern und natürlich toller Kulisse. Ein 3D-Gruselfilm für Erwachsene. Ähnlich den Dungeons, die es in Hamburg und Berlin schon lange gibt“, schwärmt der Mann mit den zweierlei Augenfarben weiter. Dass er das schafft, daran hat man keinen Zweifel. Er steckt voll Schaffensdrang, Ideen und Phantasie. Damit passt er gut in die Reihe der phantasievollen Tüftler und genialen Phantasten, die einst mit Science Fiction-Geschichten und fiktiven Maschinen die Menschen des ausgehenden 19. Jahrhunderts verblüfften. Visionäre, wie Jules Verne hatten Geist und Passion, um schon damals das Unterseeboot Nautilus 20000 Meilen tief in die See zu schicken. Die Pioniere dieser Tage, wie Henry Ford und Thomas Alva Edison, gehörten zu der Liga der wirklich außergewöhnlichen Gentlemen.

Das hat unseren Steampunk mit dem Retrofuturismus infiziert. Filme seiner Kindheit wie „Die Zeitmaschine“, später „Wild, wild West“ und „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ begeisterten den Grafiker und IT-Spezialisten. Die edlen, teils prunkvollen Materialien und der fantastische Style dieser Figuren haben ihn inspiriert. Science Fiction zwischen Brokat und Gamaschen, zwischen Dampfmaschinen und Zeppelin, im Flederwisch… – in Furth im Wald ist die Welt des Steampunk schon live zu erleben. In der filmreifen Kulisse fanden die Pfeiffers Gleichgesinnte.

Zu diesem Style zählt maßgeblich auch der Zylinder. Doch auch der musste erst einmal erfunden werden. „Als der englische Hutmacher, John Hetherington, seinen neu entworfenen, auffällig hohen Seiden-Zylinder, erstmals in der Öffentlichkeit trug, wurde er wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses ins Gefängnis geworfen“, erzählt uns Robert Nuslan amüsiert, als Manfred sich seinen neuen Zylinder aussucht.

Standesgemäße Kopfbedeckung

„Jeder Stand hatte in jener Zeit seine standesgemäße Kopfbedeckung und nur der Bürgermeister durfte einen alles überragenden Hut tragen.“ Heute aber haben sich die Zeiten geändert, und so probiert Manfred Pfeiffer beim ehemals königlichen Hutmacher, der heute selbst der Hutkönig ist, einen alles überragenden Filzzylinder aus reinem Hasenhaar, fein gebürstet, handmade in Regensburg.

Nuslan vermisst bei Pfeiffer den Kopfumfang, rückt das Probemodel zurecht und eins wird klar: Nicht nur Kleider machen Leute, auch ein Hut adelt seinen Träger. So wird, aus dem selfmade Steampunk, ein „königlich bayerischer“ und sehr außergewöhnlicher Gentleman.

Ja, erfunden hat Manfred schon so manches Kuriose – vor allem aber sich selbst immer wieder neu. Als Pirat, als Zombie und jetzt als retrofuturistischer Steampunk.

Quelle: http://www.mittelbayerische.de/region/regensburg-stadt-nachrichten/regensburger-zieht-hut-vor-jules-verne-21179-art1188026.html